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Ein Weckruf, der hoffentlich gehört wird
Politiker informierten sich im Dominikus-Ringeisen-Werk über die aktuelle Lage in der Behindertenhilfe

Gefährlicher Fachkräftemangel, neue Gesetze und bürokratische Hürden sowie eine knappe Refinanzierung durch Kostenträger setzen der Behindertenhilfe zu. Das Dominikus-Ringeisen-Werk (DRW) hatte Bundes- und Landespolitiker der CSU zu Gast, um sie auf die bedrohliche Lage aufmerksam zu machen.
Das DRW begleitet Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Viele von ihnen können aufgrund ihrer schweren Behinderung nicht alleine leben und brauchen rund um die Uhr Unterstützung. Beispielsweise neigen manche Menschen mit einer Autismus-Spektrums-Störung dazu, sich gegenüber sich selbst und anderen Personen sehr aggressiv zu verhalten. In diesen Situationen machen sie auch nicht vor einer Demolierung der eigenen Wohnung halt. Diese Menschen brauchen nicht nur eine sehr intensive Betreuung, wie Rainhard Maier von der Wohneinrichtung St. Dominikus in Ursberg seinen Gästen aus der Landes- und Bundespolitik berichtete. „Auch die Wohnräume für diesen Personenkreis müssen entsprechend ausgestattet sein“, so der Sozialpädagoge. Und da beginnen die Probleme für die Einrichtung.
Es geht um höchstens zwei Quadratmeter
Nach den Vorgaben der bayerischen „Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz“ nämlich müssten Wohngruppen, in denen jeder Bewohner schon jetzt einen Wohnraum mit Nasszelle zwischen 12 und 16 qm hat, umgebaut werden, um die vorgeschriebene Mindestgröße der Einzelzimmer von 14 qm zu erreichen. „Da nach Vorschrift aber noch rund zwei Quadratmeter als Vorraum abgezogen werden müssen, können wir eigentlich ohne eine aufwendige und sehr teure Entkernung unseres erst 19 Jahre alten Gebäudes das Gesetz nicht erfüllen“, erläuterte DRW-Vorstand Hans-Dieter Srownal. „Am Ende kämen völlig unwirtschaftliche Gruppengrößen dabei heraus.“ Einen Ausnahmeantrag für diesen Grenzfall habe das DRW, das in den kommenden Jahren ohnehin teure Umbauten an erheblich älteren Gebäuden vornehmen gestellt. Man sei im intensiven Austausch mit den Behörden.
Noch mehr Kontrollen
Auch das neue Bundesteilhabegesetz spielt hier hinein. Denn es regelt unter anderem die Finanzierung des Wohnraums behinderter Menschen. Künftig gilt auch für diese der Satz der Sozialhilfegrundsicherung – unabhängig von ihren besonderen Lebensumständen. „Wir befürchten, dass man hier die Finanzierung für den speziellen Wohnraum schwerst-mehrfachbehinderter Menschen nicht ausreichend berücksichtig hat“, so Hans-Dieter Srownal. Das Gesetz bringe zudem einen höheren Verwaltungsaufwand und zusätzliche Überprüfungen und Dokumentationspflichten der ohnehin sehr hoch reglementierten Pflegestandards mit sich. „Wir werden ja jetzt schon aufwendig kontrolliert“, so Hans-Dieter Srownal. „Das ist viel zusätzliche Zeit, die bei der Betreuung der Menschen fehlt.“
Bürokratie trotzt Fachkräftegewinnung
DRW-Personalleiter Michael Winter beklagte das mangelhafte Image sozialer Berufe in der Öffentlichkeit und berichtete den Gästen aus der Politik von der schwierigen Lage auf dem Markt für Fachkräfte, die sich paradoxerweise noch durch die robuste Konjunktur verschärfe. Denn neben der physischen und psychischen Belastung des Gruppendienstes sowie den teilweise ungeliebten Schichtdiensten könne man auch bei Löhnen und Gehältern mit der Industrie nicht mithalten und verliere eins ums andere Mal den Wettbewerb um Berufseinsteiger. Das wiederum wirke sich teils fatal in DRW-Regionen wie Oberbayern aus, in denen zudem die Kosten für Wohnraum immens hoch seien. Dass die Aufgabe ein hohes Maß an Sinnerfüllung und Lebenszufriedenheit mit sich bringe, stehe bei den jungen Bewerbern oft noch nicht im Vordergrund.
Der Einsatz ausländischer Fachkräfte sei grundsätzlich eine Option. „Aber dann müssen europäische Standards her, die es erlauben, Berufsabschlüsse miteinander zu vergleichen, sie anzuerkennen und dadurch Fachkräfte schneller gewinnen zu können“, so Michael Winter. Auch für Personal aus Nicht-EU-Ländern gebe es hohe bürokratische Hürden. Auf den Kosten der Mitarbeiterwerbung und Einführung in Arbeit und Kultur in Deutschland bleibe eine Einrichtung wie das DRW sitzen.
„Inklusion darf nicht zur Ideologie werden“
Die Botschaft, dass so manche staatliche Vorgabe die ohnehin schwierige Lage sozialer Einrichtungen noch zusätzlich verschärfe, kam bei den Politikern an. Der besonderen Situation schwerst-mehrfachbehinderter Menschen könne man so nicht gerecht werden, war einstimmiger Tenor. „Inklusion darf nicht zur Ideologie werden“, sagte beispielsweise Staatssekretär Johannes Hintersberger. „Es muss stets der Einzelne im Mittelpunkt stehen.“ Wichtig sei zudem, dass Einrichtungen wie das DRW ihre Zurückhaltung ablegten und ihre Sicht der Dinge aktiv an die Politik adressierten, meinte der Günzburger Landtagsabgeordnete Alfred Sauter. „Wir können nicht immer wieder nach solchen Besuchen sagen, wie bewundernswert die Arbeit ist, die hier gemacht wird und dann alles beim Alten lassen“, sagte er an die Adresse der politischen Entscheidungsträger gerichtet. Es müsse einen Weckruf aus den Einrichtungen geben, gefolgt von politischen Entscheidungen für Rahmenbedingungen, die es möglich machten, Menschen mit schwersten Behinderungen adäquat zu versorgen. Ein erster Schritt – so die Hoffnung der DRW-Mitarbeiter – wurde an diesem Tag in Ursberg unternommen. (li)
Die aktuelle Ausgabe der DRW-Zeitschrift "Gemeinsam" widmet sich den Auswirkungen des neuen Bundesteilhabegesetzes, unter anderem in einem Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Georg Nüsslein. Zur Online-Ausgabe kommen Sie über diesen Link.